Bayern 2 RadioWelt vom 19. Oktober 2022, 07:33 Uhr
Prof. Christian Böttger, Hochschule für Technik und Wirtschaft, HTW Berlin,
zu Kürzungen im Schienengüterverkehr
Franziska Eder: In Deutschland werden nur noch wenige Güter auf der Schiene transportiert und es könnten mit den angedachten Kürzungen laut EVG noch weniger werden. Ist diese Befürchtung gerechtfertigt?
Prof. Böttger: Ja, die EVG hat da sicherlich recht. Wenn die Förderung noch weiter abgesenkt wird, dann muss man damit rechnen, dass kein Anstieg des Marktanteils erforderlich ist und es besteht die Gefahr, dass der Marktanteil sogar sinkt.
Aber eigentlich hat die Ampel doch vereinbart, dass der Schienengüterverkehr ausgebaut werden soll?
Ja, aber das ist natürlich immer die Gefahr in Koalitionsverträgen, dass man dort schneidige Ziele hineinschreibt ohne das mit Maßnahmen zu hinterlegen. Das sehen wir im Schienengüterverkehr seit 20 Jahren. Die Maßnahmen wurden eigentlich nie ernsthaft umgesetzt. Es gibt immer große Ankündigungen, es gibt immer große Pressetermine mit dem Minister. Da reiht sich das aktuelle Verkehrsminister mit ein. Tatsächlich ist aber eine große Lustlosigkeit zu beobachten das Ziel einer Verkehrsverlagerung mit Maßnahmen zu hinterlegen.
Das Bundesverkehrsministerium plant aber doch den neuen integrativen Fahrplan, den so genannten Deutschlandtakt. Auch da steht explizit drin, dass der Güterverkehr auf der Schiene ausgebaut werden soll. Sind das alles Luftnummern?
Ja. Wenn Sie sich zum Beispiel mal den Plan angucken, den die Fahrplanstudie enthält, dann steht dort ausdrücklich mit drin, dass der Güterverkehr nicht mit betrachtet wurde. Es sind auch keine Mittel im Güterverkehr eingeplant. Die Beträge, die für den Personenverkehr genannt werden, das sind etwa 50 Milliarden Euro, die stehen in der Debatte. Wie viel das für den Güterverkehr kosten würde, ist bislang noch nicht mal diskutiert worden. Es ist immer leicht sich ein Ziel zu setzen und zu sagen, wir haben irgendwann mal 25% Marktanteil im Güterverkehr auf der Schiene. Aber es ist eben nicht mit Maßnahmen hinterlegt, und Herr Wissing setzt sicher darauf, dass er das als Minister nicht mehr zu verantworten hat, wenn er 2030 die Ziele nicht mehr erreichen kann.
Dann geben Sie doch dem Bundesverkehrsminister mal ein bisschen „Nachhilfe“. Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, damit wir den Schienengüterverkehr ausbauen können?
Es gibt eine Reihe von Dingen, die kurzfristig gemacht werden müssten: Das eine ist sicherlich, die Trassenpreise zu senken. Zurzeit zahlt ja jeder Benutzer auf der Schiene Trassengebühren und muss dabei sogar noch einen Gewinnanteil mitbezahlen, der dann an den Bund abgeführt wird. Diese Trassenpreise müssten also gesenkt werden. Wir haben den Einzelwagen-Verkehr, ein Verkehr, der aus Gründen des Marktes in Schwierigkeiten ist, der aber für einige Branchen wichtig ist, und wenn der weiter erhalten bleiben soll, muss man den auch subventionieren. Auch da will der Minister aber die Axt anlegen. Das dritte ist, dass man die Infrastruktur ausbauen muss. Der Güterverkehr ändert sich von der Struktur her: wir haben weniger Montanverkehr, wir haben immer mehr Hafen-Hinterland-Verkehr. Das heißt, dass der Güterverkehr heute auf anderen Strecken läuft als vor einigen Jahren. Und da muss man sehen, dass man die entsprechenden Strecken dafür baut. In den letzten Jahren sind die Mittel für den Streckenausbau aber massiv gekürzt worden. Es gibt eine Liste von über 100 Milliarden Euro, die eigentlich gebaut werden müssten und es ist nicht absehbar, dass mehr als die zwei Milliarden Euro bereitgestellt werden, die heute zur Verfügung stehen. Wenn da nicht ganz massiv mehr Geld bereitgestellt wird, dann wird man nicht mehr Verkehr verlagern können.
Müsste der Verkehr von Gütern auf der Straße dann im Umkehrschluss teurer werden?
Das wäre natürlich naheliegend. Entgegen vieler Mythen, die herumerzählt werden, ist es keineswegs so, dass die Straße ihre Kosten deckt. Von daher wäre vertretbar, den Straßenverkehr teurer zu machen. Nur ist das Ganze natürlich heikel, so lange die Schiene gar nicht die Kapazitäten hat, um tatsächlich mehr Verkehr zu befördern. Das muss aber einhergehen: man schafft mehr Kapazität auf der Schiene, und dann kann man auch über die Kostenbelastung auf der Straße nachdenken. Denn wir alle brauchen die Logistik, wir alle wollen morgens Jogurt und Salami im Supermarkt haben. Und wenn die Schiene gar nicht die Kapazität hat, bleibt nur der LKW, und den kann man dann auch nicht beliebig abwürgen.